Pegida kann auch eine Chance sein

Woche für Woche bringt Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) tausende von Menschen in Dresden auf die Straße. Die Reaktionen auf ein Phänomen, dass im Moment die Gesellschaft spaltet, sind sehr unterschiedlich. Die einen sehen in der neu entstandenen Protestbewegung ein legitimes Anliegen, die Stimme gegen „Überfremdung ihres Landes“ zu erheben. Aus Sorge um das Land und die Kultur wollen sie sich gegen politische Missstände wehren. Die Gegner hingegen sind fest davon überzeugt, dass es sich bei Pegida um eine finstere ausländerfeindliche Veranstaltung handelt, die vor allem von Neonazis instrumentalisiert wird. Beide Stereotypen bringen keinen Schritt weiter.

Hört man in die Teilnehmer der Demonstrationen hinein, dann spricht aus den Argumenten der Pegida-Sympathisanten vor allem eines: Wut über Politik. Medien und das Gefühl vom Establishment mit ihren Sorgen und Nöten ignoriert zu werden. Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich, dass das Thema Zuwanderung in Deutschland eine offene Flanke ist. Viel zu lange hat man sich in multikulturellen Utopien gesonnt und dabei übersehen, dass manches in dieser Diskussion ein frommer Wunsch geblieben ist. Wir uns dabei auch um die Erkenntnis herumgedrückt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Laut einer OECD-Studie aus dem Mai des vergangenen Jahres ist Deutschland inzwischen für Zuwanderer das zweitbeliebteste Land geworden. Damit haben wir Kanada und Australien hinter uns gelassen, immerhin klassische Einwanderungsländer. Dieser Realität, und das ist das Fatale, haben wir uns in Deutschland noch nicht gestellt. Freizügigkeit für Arbeitnehmer, freier Handel und ein gemeinsamer europäischer Binnenmarkt, wird mehr als Bedrohung und nicht als Notwendigkeit oder sogar Chance begriffen. Dabei ist Deutschland angesichts der rasch alternden Gesellschaft auf den Zuzug von jungen und qualifizierten Menschen angewiesen, wenn wir das liebgewordene Wohlstandsniveau halten möchten.

Jeder dritte Zuwanderer kommt aus Südeuropa, kommt also aus Regionen, in denen im Zusammenhang mit der Eurokrise die Arbeitsmärkte zusammengebrochen sind. Dieser Umstand führt viele Talente nach Deutschland, die bei uns Arbeit und damit eine Zukunft finden. Leider überlassen wir vieles in Sachen Zuwanderung nach wie vor dem Zufall. Im Gegensatz zu anderen Ländern, hat Deutschland immer noch nicht begriffen, dass der Kampf um Nachwuchskräfte ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sein wird. Wählt man in anderen Ländern nach Bedarf und Qualifikation aus, hat man diese Faktoren in Deutschland noch kaum im Blick. Viele Menschen haben den Eindruck, dass das noch reiche Deutschland zur „Sozialstation“ Europas und der Welt geworden ist. Die Forderung nach einer geregelten Einwanderung ist daher mehr als verständlich. Die Aufnahme von jährlich 100.000 bis 200.000 Menschen aus ärmeren Ländern auf der Welt, wäre angesichts des demografischen Kahlschlags in Deutschland ein willkommener Ausgleich.

Neben dem eigenwirtschaftlichen Interesse, gibt es aber auch grundsätzliche Erwägungen, die für Einwanderung und klare Regeln beim Zuzug sprechen. Auf die Dauer kann unsere Asylpolitik eine Einwanderungsgesetzgebung nicht ersetzen. In einer durchlässigen Welt, ist eine „Festung Europa“ keine wirkliche Antwort auf die Herausforderungen. Daher müssen endlich europaweit legale Einwanderungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ein positiver Nebeneffekt wäre ganz nebenbei, dass damit kriminellen Schleppern das Geschäft verdorben wäre.Die Debatte um eine klare Regelung der Einwanderung in Europa ist daher ein ernstzunehmender Aspekt, den Pegida in ihrem Forderungskatalog formuliert hat.

Bei Pegida geht es aber um mehr als um eine Zuwanderungsdebatte. Pegida ist eine sonderbare Mischung aller möglichen Forderungen und politischen Positionen, die am Ende auf eine These hinauslaufen: Die wichtigsten Probleme in unserem Land lassen sich auf „Islamisierung“, auf Asylanten und auf Einwanderer zusammenfassen. Das ist kurzsichtig, aber offenbar mobilisierungsfähig. Besonders bemerkenswert ist es, dass ausgerechnet Personen, die im normalen Leben wenig innere Beziehungen zu Religionen haben, die Bedrohung des christlichen Europas durch den Islam beschwören.

Hörte man auf diese Untergangspropheten, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass die Zahl der Moscheen bald die Anzahl der Kirchen in Europa übersteigen könnte. Diese Furcht wird insbesondere dadurch verstärkt, dass die meisten Menschen im Hinblick auf den Islam nur unklare Vorstellungen haben. Viele, die sich überhaupt mit dem Themenfeld beschäftigen, setzen den islamischen Glauben ausschließlich mit Diktaturen und Terrorismus gleich. Das hat in unserer Gesellschaft leider Tradition und verengt den Blick gehörig.

 

Gemeinsamer Feind verschleiert Unstimmigkeiten

In Wahrheit deckt der Begriff Islam ganz verschiedene Aussagen ab, wie es auch im Christentum der Fall ist. Im Islam gibt es nicht nur die beiden großen Gemeinschaften der Sunniten und der Schiiten, sondern auch viele kleinere Sekten. Das macht den Islam so unüberschaubar. Nach außen berufen sich zwar alle diese vielfältigen Ausrichtungen auf den Koran, die Deutung ist aber trotzdem höchst unterschiedlich. Diese Unterscheidungen spielen aber in der Auseinandersetzung überhaupt keine Rolle. Vermutlich wäre das für manchen Diskutanten auch etwas zu differenziert. Leichter ist es, eine ganze Religion unter Generalverdacht zu stellen. Der Feind eint – das wissen auch die Organisatoren von Pegida und ihren Ablegern in anderen Städten. Das europäische Ausland steht dabei Pate. Dort ist der Islam das einzige Thema, das für rechtsgerichtete Gruppierungen ein nennenswertes Potential zur Mobilisierung darstellt.

Natürlich sind nicht alle Teilnehmer der Pegida-Demonstrationen diesem Spektrum zuzuordnen. Ich würde nicht einmal die Organisatoren selbst, sofern man sie in der Öffentlichkeit wahrnimmt, in der Gesamtheit als nationalistische Parteigänger bezeichnen. Nicht zu übersehen ist aber, dass über Pegida zusammenwächst, was sich sonst in der Feindbestimmung nicht einigen kann oder völlig aneinander vorbei reden würde. Noch aussichtsloser würde es werden, wenn man sogar eine Definition erwarten wollte, wofür man positiv einstehen wollte. Nur der „Feind“ Islam bietet eine traute Gemeinsamkeit, die notwendig ist, um geschlossen zu handeln.

Es ist keine neue Vorgehensweise und wir kennen diese Taktik sehr gut aus der Geschichte. Immer dann wenn man sich genötigt sieht die Menschen gegen den Gegner aufzuputschen, dann muss man diesen als Ausbund allen Übels darstellen. Gerade im 19. Jahrhundert, als mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht Kabinettskriege in Volkskriege überführt wurden, kann man diese Vorgehensweise häufig finden. Aus dem Gegner wird ein Feind, gegen den jedes nur erdenkliche Mittel erlaubt ist. Wir alle wissen, wie viel Blut und Elend am Ende als grauenhafte Bilanz solcher Machenschaften zu beklagen waren. Der Kampf gegen den Islam, trägt daher nicht aus Zufall die Merkmale dieser Vernichtungskriege, die keine Unterscheidungen und Differenzierungen mehr zulassen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass es viele grauenhafte Dinge gibt, die im Moment im Namen des Islams geschehen. Die Perspektive derjenigen, die sich als Retter des Abendlandes generieren, bleibt aber trotzdem verzerrt. Die Beschreibung der Lehre des Propheten in vielen Publikationen hat mit der Realität genauso wenig zu tun wie der frühere Reichsbischof Müller mit dem Christentum.

 

Auseinandersetzungen finden auf einer ganz anderen Ebene statt

Ein Blick in die Medienlandschaft der letzten 13 Jahre nach dem 11. September 2001 macht deutlich, wo die geistigen Aufmunitionierer sitzen, die sich angesichts des Mobilisierungsgrades durch Pegida, nun verwundert die Augen reiben. Die Furcht vor dem Islam ist geschürt worden. Dabei übersieht man ganz gerne, dass die prophezeiten Religionskriege auf einer ganz anderen Ebene stattfinden als zwischen Christentum und Islam. Es geht in Europa längst nicht mehr eine Konfession gegen eine andere, sondern um die geistige Auseinandersetzung zwischen Glauben an Gott und einem militanten Atheismus. Wie der Islam ohne Zweifel vor Jahrhunderten eine Bedrohung des Abendlandes gewesen ist, sind es heute totalitär-materialistische Tendenzen und der Verrat des Westens an seiner geistigen Tradition. So verkommt die Bildung an unseren Schulen, Hochschulen und Universitäten, während in unseren Kindertagesstätten wohlfeile Sexprogramme aufgelegt werden.

Die Familie scheint in unserer Gesellschaft unter die Räder zu kommen. Der in unserem Grundgesetz garantierte „besondere Schutz von Ehe und Familie“ wird durch wirklichkeitsferne Ideologien wie „Gender Mainstreaming“ ausgehöhlt. Jede moralische Unterscheidung wird heute von Lobbygruppen lauthals als „Diskriminierung“ verurteilt. Das Leitbild Ehe und Familie wird schon lange nicht mehr als solches akzeptiert und in der Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgegeben. Papst Franziskus sagte im vergangenen Jahr anlässlich des Treffens der Schönstattbewegung in Rom, das „Ehe und Familie unter einer nie dagewesenen Krise zu leiden hätten“. Nie zuvor sei das Ideal der christlichen Familie solchen Angriffen ausgesetzt gewesen wie heute, sagte das katholische Kirchenoberhaupt weiter. Hier ist also Handlungsbedarf gegeben, da auf dem aufgezeigten Gebiet eine Bedrohung für Familie, Gesellschaft und Kultur entsteht. Stattdessen nur Scheingefechte.

Der große katholische Selige von Mallorca, Raimund Lull, bezeichnete den Islam schon im 12. Jahrhundert als eine christliche Häresie. Diese Auffassung ist keine Irrlehre, auch wenn Papst Gregor IX. den Ordensmann, Mystiker, Missionar und Märtyrer im Jahr 1376 zum Ketzer erklärte und seine Werke, die sich immer wieder um die Gemeinsamkeiten des christlichen, jüdischen und islamischen Glauben bemühten und die Vernunft in das Zentrum seines Ansatzes rückte, verbrennen ließ. Im 19. Jahrhundert wurde der Lull zum Märtyrer der Kirche erklärt und 1847 von Papst Pius IX. zum Seligen erhoben. Das Verfahren zur Heiligsprechung läuft im Moment und zeigt, dass Lull mit seinem Ringen um das Herausstreichen der Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen nicht falsch gelegen haben kann. Man kann auch eine große Gemeinsamkeit des kulturellen Erbes zwischen uns und den islamischen Völkern feststellen. So stellt der Religionsphilosoph und Islamwissenschaftler Ahmad Milad Karimi in einem Interview mit der katholischen Tageszeitung „Die Tagespost“ einen Zusammenhang zwischen islamischer Theologie und hellenistisch geprägter Philosophie her. „Wenn Sie so etwas wagen, eine Theologie mit Debattenkultur, dann brauchen Sie dafür Instrumentarien. Und diese waren immer schon hellenistisch geprägt. Sie können nachsehen, dass die Geschichte danach weiterging. Auch im 18. Jahrhundert haben wir im Islam Positionen, die einsehen, dass man viele Quellen, darunter auch die Philosophie, berücksichtigen muss.“. Den Griechen verdankt auch Europa den Geist der Philosophie und so sind hier Gemeinsamkeiten unübersehbar. Natürlich, das soll hier nicht verschwiegen werden, gibt es auch gewaltige Unterschiede. Trotzdem glaube ich fest daran, dass das was uns eint, im Grunde viel wesentlicher ist, als das was uns trennt.

Das sollte man sich daher immer vor Augen führen, wenn wir wieder einmal von der Bedrohung der christlichen Zivilisation durch den Islam reden. In vielen bioethischen Fragen, Fragen von Ehe und Familie und angesichts des voranschreitenden Totalitarismus durch einen militanten Atheismus, kann der Islam mehr Verbündeter als Feind sein. Karimi sagt dazu in seinem Interview mit der Tagespost weiter: „Ich glaube überhaupt, dass Religionen untereinander keine großen Probleme haben, sondern Religiösität überhaupt in der Gegenwart“.

An dieser Stelle wird mir sicherlich mancher Leser entgegenhalten, dass man mit offenen Augen in Welt schauen muss und erkennen kann, wie der Islam in den Gebieten, wo er die Mehrheiten stellt, andere Religionen unterdrückt. Das kann man nicht leugnen und daher habe ich Verständnis dafür, wenn im Zusammenhang mit dem Islam Ängste entstanden sind, die Ernst genommen werden müssen. Es gab und gibt Gewalt im Namen des Islams durch Muslime. Diese Gewalt wegzudiskutieren, bedeutet Realitäten zu ignorieren. Allerdings sollte Gewalt nicht zu einem Wesenskern einer Religion gemacht werden, da wir dadurch jeden Diskurs mit den Religionsvertretern im Islam von Anfang von Anfang an zum Scheitern verurteilt wäre. Gewalt findet nämlich auch von Muslimen gegen Muslime statt. Mehr als bisher, sind die Muslime dazu aufgerufen, Ihre Religion immer wieder neu zu interpretieren. Bisher kann man bisweilen eher den Eindruck gewinnen, dass sich viele Muslime in Deutschland überwiegend freiwillig in die „Opferrolle“ begeben haben und sich inzwischen in dieser Rolle richtig wohlfühlen. Das Gefühl Opfer zu sein mag für den Anfang zusammenschweißen und auch sinnstiftende Wirkung haben. Am Ende katapultiert man sich mit so einem Verhalten aber selbst aus der gesellschaftlichen Debatte heraus und überlasst anderen die Interpretationshoheit über die eigene Religion. Die Muslime sind daher aufgefordert noch stärker als bisher Verantwortung für das zu übernehmen, was im Moment im Namen ihrer Religion geschieht. Wenn, und das höre ich immer wieder im Gespräch mit gläubigen Muslimen, der Islam eine Friedensreligion ist, dann liegt es auch an den Muslimen das unter Beweis zu stellen.

 

Debatte als Chance begreifen

Das Phänomen Pegida kann aber auch eine gesellschaftliche Chance sein. Liebgewordene und nie hinterfragte Glaubenssätze unserer Gesellschaft sind in Frage gestellt worden. Sie nun auf den Prüfstand zu stellen, wäre eine richtige Antwort auf die Demonstrationen. Leider sind die Antwort wieder einmal nur überwiegend Selbstbestätigungsrituale. Bundeskanzlerin Angela Merkel fühlte sich in ihrer Neujahrsansprache genötigt, auf Pegida einzugehen, ohne die Organisatoren der wöchentlichen Demonstrationen zu benennen. Die sachliche Auseinandersetzung bleibt auf beiden Seiten auf der Strecke. Pegida-Gegner initiieren eine Online-Petition und sammeln Unterschriften gegen Pegida, als wenn Unterschriften die Fragen der Demonstranten beantworten könnten. Die Sprachlosigkeit, die aus solchen Aktionen spricht, erschreckt.

Auf der anderen Seite haben auch die Pegida-Anhänger die Kommunikation und damit die Beteiligung an einem Diskurs offenbar eingestellt. Anstatt mit der Gesellschaft zu diskutieren und für ihre Positionen zu werben, ziehen sie sich auf die Straße zurück und stehen mürrisch und trotzig Montag für Montag da. Die Anderen, vor allem die Medien und Politiker, sind für diese Demonstranten nur noch Feind, mit denen man nicht redet. Gerade mit dieser Trotzhaltung offenbaren die Anhänger von Pegida ein zweifelhaftes Demokratieverständnis. Demokratie bedeutet nicht nur Versammlungs- und Meinungsfreiheit, sondern auch die Notwendigkeit um diese Dinge herum mit der Gesellschaft in eine Debatte einzutreten. An dieser Debatte scheint Pegida aber nicht gelegen zu sein. Selbst wenn die Organisatoren in Zukunft 100.000 Menschen und noch mehr mobilisieren könnten, ist das alles kein Beweis für die Richtigkeit der Pegida-Thesen. Das gefühlte Recht reicht eben nicht aus, um auch sachlich richtig zu liegen. Wenn Pegida eine Debatte anstoßen wollte, dann ist es jetzt an der Zeit aus der Opferrolle herauszukommen. Schaffen die Organisatoren das nicht, dann ist die Diskussion schon jetzt vorbei. Das ist gerade im Hinblick darauf schade, dass wir uns um die angestoßenen Debatten nicht herumdrücken können. Unsere Gesellschaft muss ein Zukunftsbild entwickeln und nicht immer nur den Status Quo verwalten. Würde diese Debatte nun wieder verschoben werden, dann sind wir alle die großen Verlierer.

 

Dieser Artikel ist zuerst auf dem Blog DIE INTEGRATIONSBLOGGER  erschienen.

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